Welche Arten von Verflechtungen lassen sich zwischen lokalen Wirtschaftspraktiken und globalen Ökonomien beobachten?
Welche Koexistenz verschiedener wirtschaftlicher Praktiken lässt sich beobachten, wenn Mobilität und lokale Einbettung zusammentreffen?
Diesen und anderen Fragen gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen des For-schungsschwerpunktes „Wirtschaftliche Dynamiken“ nach. Sie untersuchen transnationale Netzwerke und deren Ausprägung nicht nur in marktwirtschaftlicher, sondern auch in sozialer, politischer und religiöser Hinsicht, das heißt, es geht letztlich um die Verflechtung von lokalen ökonomischen Praktiken und Logiken auf der einen sowie globalen Wirtschaftsmodellen und Zusammenhängen auf der anderen Seite. Die entsprechenden Projekte basieren auf einer engen Zusammenarbeit mit Forscherinnen und Forschern aus Äthiopien, Zentralasien, dem Kaukasus, Pakistan, Israel und der Schweiz, die sich jeweils in unterschiedlichen Karrierephasen befinden. Dabei werden die Forschungsergebnisse in Form von Vorträgen und Publikationen zur Dis-kussion gestellt und im Rahmen von Lehrveranstaltungen sowie der Betreuung von Bachelor-, Magister- und Doktorarbeiten für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses nutzbar gemacht.
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Die Einsicht in die grundlegende Bedeutung ökonomischer Interessen, Vorstellungen und Prak-tiken ist in der Geschichte des Instituts nicht neu. So warnte Frobenius bereits 1921 explizit davor, „Mythen zu untersuchen, ohne das Wirtschaftssystem einzubeziehen“, und dementspre-chend sah Adolf Ellegard Jensen in seinem Buch „Das religiöse Weltbild einer frühen Kultur“ (1948) sowie in seinem Hauptwerk „Mythos und Kult bei Naturvölkern“ (1951) eine Verbin-dung zwischen dem weltweit verbreiteten Mythologem der getöteten Gottheit und der Ökono-mie der sogenannten „frühen Pflanzerkulturen“. Die Monographien der Institutsmitglieder, die zwischen den 1930er und 1950er Jahren nach Äthiopien, Indien, Bolivien oder Venezuela reis-ten, beinhalteten regelmäßig Kapitel, in denen es nach klassischem Muster unter anderem um Landwirtschaft, pastoralen Nomadismus oder Handwerk ging. Ab den 1960er Jahren erschie-nen in der institutseigenen Schriftenreihe Studien zur Kulturkunde mehr als zwanzig Bände zu wirtschaftsethologischen Themen, darunter zu ökonomischen Rollen in einem liberianischen Dorf (1967), Eisenproduktion im subsaharischen Afrika (1976) und Hirtenarbeit im Niger (1998). Fragen der Ökonomie waren auch Gegenstand mehrerer Aufsätze von Eike Haberland, von denen der letzte 1984 im Band 30 der Zeitschrift Paideuma veröffentlicht wurde – einer Festschrift für den Nomadismusforscher Rolf Herzog mit dem Titel „Wirtschaftsethnologische Studien“.
Im Vergleich zu älteren Forschungen liegt das Augenmerk heute stärker auf Prozessen der in-ternationalen Verflechtung und der Globalisierung beziehungsweise des Wandels generell. So geht es zum Beispiel in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Vorhaben um Handelsnetzwerke und Migration zwischen der Sahelzone und Südostasien. Da-neben behandeln die von Roland Hardenberg geleiteten Teilprojekte des Sonderforschungsbe-reiches „RessourcenKulturen“ unter anderem die Folgen von britischem Extraktivismus für die lokale Kultur und Gesellschaft in Spanien, die Kommerzialisierung und Kommodifizierung von religiösen Ressourcen in Süd-und Zentralasien sowie, ebenfalls in Bezug auf Südasien, die Fra-ge, wie sich das globale Ziel einer nachhaltigen Entwicklung auf indigene landwirtschaftliche Praktiken auswirkt.
Mit Unterstützung der VolkswagenStiftung untersuchte außerdem ein interdisziplinäres und internationales Team mit mehr als zwölf Beteiligten, zu denen BA-, MA- und PhD-Studierende ebenso gehören wie erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, in sieben Teilprojek-ten unter der Nachwuchsgruppenleitung von Susanne Fehlings Kleinhändlerinnen und -händler, informelle Märkte und Handelsbeziehungen in Eurasien entlang der ehemaligen Seidenstraße beziehungsweise im Kaukasus (Georgien und Armenien), in Zentralasien (Kirgistan und Ka-sachstan) und in China. Ein zusätzliches Modul thematisiert insbesondere die Covid-19-Pandemie beziehungsweise deren Einfluß auf den informellen Handel und auf die individuelle Kooperation innerhalb chinesisch-eurasischer Geschäftsverbindungen. Dabei unterhalten die beteiligten Personen im Kleinhandel komplexe Beziehungen zu verschiedenen staatlichen Insti-tutionen. Sie sind einerseits in lokalen Kontexten verankert, andererseits aber auch international stark vernetzt und sehr mobil. Von daher erscheinen sie als wichtige Agierende im Zuge einer „Globalisierung von unten“. Auch nachdem die Projektförderung der VolkswagenStiftung im Winter 2024 ausläuft, soll das Projekt weitergeführt werden. Ein Großteil der Projektdaten wurde bereits in das Kaukasus-Archiv überführt. Ein Folgeantrag ist in Arbeit, Projektergebnisse werden weiterhin publiziert.
Ein weiteres international zusammengesetztes Team forscht unter der Leitung von Sophia Thu-bauville über informelle Spar- und Versicherungsverbände in Äthiopien sowie in der äthiopi-schen Diaspora in den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Israel und Kenia. Ausge-hend von der These, dass in solchen Spar- und Versicherungsverbänden Vorstellungen von einem „guten Leben“ beziehungsweise einer besseren Zukunft zum Ausdruck kommen, unter-suchen die Beteiligten, wie sich ökonomische Praktiken und soziale Ordnungen ändern, wenn sie in der Folge von Migration auf neue Rahmenbedingen treffen. Gefördert wird das Projekt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie durch ein zusätzliches Postdoc-Stipendium der Gerda Henkel Stiftung. Die Universität Hawassa (Äthiopien) agiert als gleichberechtigte Projektpartnerin mit eigenen Mitteln für Forschung und Ausstattung.
Die Arbeit im Forschungsschwerpunkt „Wirtschaftliche Dynamiken“ soll in den nächsten Jah-ren ausgebaut und vertieft werden. Dazu plant das Institut im Rahmen der dritten Förderphase des Sonderforschungsbereiches „RessourcenKulturen“ verschiedene Untersuchungen nicht-westlicher Konzepte und Praktiken im Bereich der Ökonomie. Ein zum Abschluss dieses Sonderforschungsbereiches als Grundlagenwerk für die kulturwissenschaftliche Betrachtung von Ressourcen angelegter Sammelband befindet sich in Vorberei-tung.
Diese Auswirkungen sind auch Gegenstand eines geplanten Anschlussprojektes. Darüber hin-aus beteiligt sich das Institut mit einem Vorhaben zum Thema „Extraktivismus, Widerstands-bewegungen und Umweltkonzepte“ an einer von der Ruhr-Universität Bochum und dem Deut-schen Bergbau-Museum Bochum getragenen Initiative, die auf die Einrichtung eines neuen Sonderforschungsbereichs mit dem Titel GeoRessourcenVerflechtungen und WeltAneignungen zielt.
Zwei kleinere Projektvorhaben, in denen Themen aus verschiedenen abgeschlossenen Projekten zusammengeführt und transregionale Fragestellungen anvisiert werden, befinden sich aktuell in der Umsetzung:
1) Bei dem Programm Point Sud wurde ein Workshop an der Universität Legon in Accra bean-tragt, in dem neue Forschungsanträge entwickelt werden sollen, in denen es um wirtschaftliche und intellektuelle Netzwerke gehen soll, die zwischen Afrika, Asien und Eurasien operieren. Zum gleichen Thema wird ein Panel bei der European Conference of African Studies 2025 in Prag eingereicht.
2) In Zusammenarbeit mit dem Ikonenmuseum Frankfurt wird zurzeit ein Projekt zum Handel mit religiösen Paraphernalien in Äthiopien, Israel und Georgien umgesetzt, an dem auch Studie-rende beteiligt werden. Hierzu wurden Mittel der Stadt Frankfurt in Höhe von 10.000 Euro ein-geworben. Im Zuge des Projektes werden Objekte für die Ethnographische Sammlung erwor-ben und dann inventarisiert.
Auch die in diesem Zusammenhang gesammelten Daten und Objekte werden in die Sammlun-gen und Archive des Frobenius-Instituts überführt.
Abgeschlossene und laufende Drittmittel-Projekte
RessourcenKulturen von Reis und Weizen in Süd- und Zentralasien. Religiöse und (agrar-) ökonomische Dimensionen von Getreide
(Roland Hardenberg, SFB 1070, 2021–2025)
Cultural entrepreneurship and digital transformation in Africa and Asia
(Richard Kuba, als Kooperationspartner BMBF, 2021–2024)
Die Bürokratisierung der afrikanischen Gesellschaften
(Mamadou Diawara, Max Weber Stiftung, 2017–2021)
Die Suche nach einem „guten Leben“. Strategien zur Sicherung des Lebensunterhalts im Iran und in Deutschland
(Mirco Göpfert, Roland Hardenberg, DAAD, 2020–2021)
Informal markets and trade in Central Asia and the Caucasus
(Susanne Fehlings, VolkswagenStiftung 2016–2021)
On the saf/ve side: informal economic associations and future aspirations in the Ethiopian diaspora
(Sophia Thubauville, Elias Alemu, DFG, 2021–2024)
From „poor man’s food“ to „nutri-cereals“: emergence of a new millet assemblage in Odisha, India
(Roland Hardenberg, Förderzeitraum 2021-2023, DFG)
Abgeschlossenes Projekt ohne zusätzliche finanzielle Förderung
Dorf und Stadt in Ozeanien
(Holger Jebens)