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Archive, Sammlungen und Fachgeschichte

Welche Bedeutung haben ethnologische Archive und Sammlungen heute? 

Wie kann ihr Potenzial als Gedächtnisinstitution für indigene Gesellschaften, Museen und die Öffentlichkeit neu bewertet werden?

Diesen Fragen hat sich das Institut als eine der ältesten kulturanthropologischen Forschungseinrichtungen im deutschsprachigen Raum schon lange vor der aktuellen Restitutionsdebatte gestellt. Vor allem im Kontext von Forschungsreisen seit 1904 entstanden, bilden die umfangreichen Archive und Sammlungen des Instituts einen wesentlichen Teil seiner Identität. Dabei kommt dem für die Anerkennung als UNESCO-Weltdokumentenerbe nominierten Felsbildarchiv eine Sonderstellung zu, dokumentiert es doch vielfach prähistorische Bildensembles, die durch natürliche Umwelt-Einflüsse und in den letzten hundert Jahren durch Massentourismus, Industrialisierung, Graffitis oder andere Formen des Vandalismus erhebliche Schäden erlitten haben. Vergleiche mit den Kopien aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigen den oft tragischen Verfall der Originale. Manche von ihnen lassen sich heute nur noch durch die im Institut verwahrten Abbildungen erschließen, die ihrerseits zu so etwas wie „Originalkopien“ geworden sind.

 

Abgeschlossene und laufende Drittmittel-Projekte:

„Histoire croisée“ der Ethnologie und der Vorgeschichte in Deutschland und Frankreich bis in die 1960er Jahre
(Richard Kuba, Jean-Louis Georget, ANR, DFG, 2018–2020)

Die deutschen ethnographischen Expeditionen in den australischen Kimberley. Forschungsgeschichtliche Bedeutung, digitale Repatriierung und gemeinsame Interpretation des indigenen Kulturerbes
(Richard Kuba, Martin Porr, DFG, 2020 2024)

Ausbau des Mittel-Indien-Archivs
(Roland Hardenberg, Peter Steigerwald)


Projekte in der Antragsphase

Zimbabwean digital rock art archive
(Richard Kuba, VolkswagenStiftung, Neueinreichung geplant)

European scientific heritage from Africa and research ethics: facing the current crisis of perceptions
(Richard Kuba, Sophia Thubauville, EU-Projekt Horizon 22)

Das ethnographische Archiv. Erschließung, Auswertung und Restitution unveröffentlichter ethnologischer Quellen in Universitäts-, Museums- und Forschungssammlungen des deutschsprachigen Raumes
(Holger Jebens)

Film as process and ethnographic becoming through repatriation of archival footage
(Roland Hardenberg, Igor Karim, Sophia Thubauville, DFG)

Digitalisierung der Exzerptur von Prof. László Vajda
(Richard Kuba, DFG)

 

Weitere Informationen zum Schwerpunkt...

Das Institut bearbeitet seine reichen Bestände seit über zwanzig Jahren im Sinne einer Strategie, die inzwischen auch deutschlandweit akzeptiert ist und 2020 als „3 Wege-Strategie für die Erfassung und digitale Veröffentlichung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland“ (Zugang – Transparenz – Kooperation) formalisiert wurde. Diese drei Wege werden nicht als eine vorab festgelegte „Top-Down-Strategie“, sondern als ein offener Prozess verstanden, nachdem am Institut schon früh begonnen wurde, in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den betreffenden Ländern sowie mit lokalen beziehungsweise indigenen Gesellschaften unveröffentlichte Originalquellen systematisch zu transkribieren, zu übersetzen und teilweise zu publizieren. Darüber hinaus wurden und werden die entsprechenden Bildbestände vor Ort im Rahmen gemeinsam kuratierter Ausstellungen präsentiert und digital sowie in hochwertigen Ausdrucken zur Verfügung gestellt – unter anderem 2008 in Ouagadougou (Burkina Faso), 2012 in Abuja, Ife, Makurdi, Minna und Yola (Nigeria), 2015 in Addis Ababa und Jinka (Äthiopien), 2017 in Dakar (Senegal), 2019 und 2021 erneut in Addis Ababa (Äthiopien) sowie 2022 in Derby (Australien). Auf eine ethnologisch informierte und damit kulturell sensible Art und Weise macht das Institut so historisches Quellenmaterial den Menschen in den Regionen und Ländern zugänglich, in denen es im Laufe des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Dabei kommen den Fotografien und Zeichnungen aus der ansonsten sehr bilderarmen Frühzeit des 20. Jahrhunderts ebenso eine besondere Bedeutung zu wie den unveröffentlichten Reisetagebüchern, Feldnotizen und Briefen, die vor Ort oft als früheste Schriftquellen dienen.

Die in gemeinsamer Forschungsarbeit erfolgende Erschließung der Bestände profitiert erheblich davon, dass die Menschen aus den Herkunftsländern auf der Basis von lokalem Wissen ihre eigenen Ontologien und Bedeutungszusammenhänge einbringen. Voraussetzung dafür sind langjährige und vertrauensvolle Beziehungen ebenso wie Offenheit und Sensibilität gegenüber den oft problematischen ethischen Kontexten der Entstehung der Dokumente sowie gegenüber den spezifischen lokalen Bedürfnissen, denen die Forschung dienen sollte (Geschichte für wen?). Die multiperspektivische und selbstreflexive Bearbeitung der Bestände führt zu einer Verständigung über die Art ihrer Erschließung, Publikation und künftigen Verwendung sowie letztlich zu einer verantwortungsvollen digitalen Restitution. Dabei werden die online zugänglichen Datenbanken des Instituts unter Beachtung der Prinzipien von FAIR (findable, accessible, inter-operable, re-usable) und CARE (collective benefit, authority to control, responsibility, ethics) weiterentwickelt, und es entstehen regionale Themenportale wie die Ethiopia Database, das Mittel-Indien-Archiv (MIA) oder das Kimberley-Archiv (Frobenius Expedition Material for the Wanjina Wunggurr Determination Area) (https://www.frobenius-institut.de/datenbanken).

Neben ihrer Bedeutung für die an der Forschungsarbeit Beteiligten sowie für die lokalen beziehungsweise indigenen Gesellschaften insgesamt dienen die Archive und Sammlungen den Instituts-Angehörigen sowie externen wissenschaftlich tätigen Personen auch als Quellenmaterial für die Beschäftigung mit der eigenen Fachgeschichte. Zu nennen sind hier vor allem mehr als zwei Dutzend Vor- und Nachlasse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, das Verwaltungsarchiv des Instituts sowie das Archiv der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde, insgesamt rund 200 Regalmeter, darunter ca 50.000 Dokumente unterschiedlicher Art die digital erfasst und über eine Online-Datenbank recherchierbar sind. Bei der Analyse dieser Bestände geht es nicht zuletzt um eine Versachlichung der oft sehr emotional geführten Debatte über die historische Rolle des Faches Ethnologie sowie um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Namensgeber des Instituts. In großen Publikumsausstellungen werden zudem einzelne Aspekte der Forschungsgeschichte aufgearbeitet – so etwa 2016 in Berlin (Martin-Gropius-Bau), 2017 in Mexico City (Museo Nacional de Antropología), 2019 in Frankfurt am Main (Museum Giersch), 2021 in Zürich (Museum Rietberg) und 2023 in Darmstadt (Hessisches Landesmuseum) und Paris (Musée de l’homme).

Aufgrund ihrer Expertise im Umgang mit Archiven und Sammlungen wurden zwei Mitarbeiter in die auf Anregung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst von der Konferenz der Hessischen Universitätspräsidien eingerichtete Kommission „Koloniales Erbe in Hessen“ berufen. Darüber hinaus existiert eine enge Zusammenarbeit mit der bei der Kulturstiftung der Länder angesiedelten „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“, und Angestellte des Instituts waren beziehungsweise sind im Deutschlandweiten „Netzwerk koloniale Kontexte“ aktiv, wobei sie maßgeblich an der Entwicklung von Empfehlungen für „collaborative digitization projects“ mitgewirkt haben.

Zurzeit ist das Institut an einem EU Horizon-Projektantrag über afrikanische Materialien in europäischen Gedächtnisinstitutionen beteiligt. Für die Zukunft ist geplant, die Arbeit im Forschungsschwerpunkt „Archive, Sammlungen und Fachgeschichte“ unter anderem mit Projekten zu den umfangreichen und bis dato noch nicht erschlossenen Exzerpturen von Leo Frobenius, Hermann Baumann und László Vajda fortzuführen. Ein weiteres, etwas breiter angelegtes Vorhaben setzt sich aus einer zugleich historischen und spezifisch ethnologischen Perspektive mit dem Verhältnis zwischen Fach und Institution, das heißt zwischen dem früheren Völkerkundemuseum und der Ethnologie insgesamt auseinander. Hierfür ist auch die enge Zusammenarbeit, die das Frobenius-Institut mit dem Weltkulturen Museum in Frankfurt unterhält, von großem Wert.

 

 

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Als Ergebnis der Überlegungen zu seinen thematischen Schwerpunktsetzungen hat sich das Institut auf vier Bereiche verständigt, die in den kommenden Jahren dazu dienen sollen, wissenschaftliche Kooperationen im Institut zu stärken, Kompetenzen zu bündeln, vorhandene Infrastrukturen effektiver zu nutzen und vor allem auch neue, gemeinsame Forschungsaktivitäten zu generieren. Bei der Festlegung ging es darum, Themen zu identifizieren, die vorhandene Kapazitäten und Kenntnisse berücksichtigen sowie gleichzeitig rezente Entwicklungen in der Kulturanthropologie aufgreifen, und dadurch das Potenzial haben, förderwürdige Forschungsprojekte zu generieren.

 
Archive, Sammlungen und Fachgeschichte

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Kulturanthropologische Archäologie und historische Ethnologie

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Kosmologien und religiöse Praxis

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Wirtschaftliche Dynamiken

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