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Nachruf auf Meinhard Schuster

Wir trauern um Meinhard Schuster (1930-2021).

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Meinhard Schuster war dem Frobenius-Institut über Jahrzehnte eng 
verbunden. Am 12. März 2021 erschien unter der Überschrift "Er war 
gewissermaßen Kolumbus" ein Nachruf von Karl-Heinz Kohl im Feuilleton 
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

 

Zweimal erlebte er als Feldforscher noch Erstbegegnungen: Zum Tod des Ethnologen Meinhard Schuster

Als der gebürtige Offenbacher Meinhard Schuster 1948 in Frankfurt Ethnologie zu studieren begann, gab es den Lehrstuhl der Goethe-Universität für das Fach erst seit zwei Jahren. Besetzt war er mit Adolf E. Jensen, der auch das Völkerkundemuseum und das später nach seinem Lehrer Leo Frobenius benannte Forschungsinstitut für Kulturmorphologie leitete. Frankfurt war damals ein Trümmerfeld. Das Museums- und Institutsgebäude hatte die Bombenangriffe nicht überstanden. So musste Schuster, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, seine ersten völkerkundlichen Seminare in einer der wenigen heil gebliebenen Westend-Villen besuchen, in der Jensen und sein Mitarbeiterstab provisorisch untergebracht waren.

Auch die Welt, in der Ethnologen ihren Forschungen nachgingen, sah damals noch anders aus. Ob in den tropischen Regenwäldern Afrikas und Südamerikas oder im Hochland von Neuguinea, immer wieder konnte man in diesen schwer zugänglichen Regionen auf Menschen treffen, die mit der "Zivilisation" und ihren Vertretern noch nie in Berührung gekommen waren. Schuster hat eine solche Erstbegegnung erlebt, als er 1954 an einer anderthalbjährigen Forschungsreise des Frobenius-Instituts ins Innere des Amazonasbeckens teilnahm. Es war eine Untergruppe der bei ihren Nachbarn als besonders kriegerisch geltenden Yanomami, deren Sympathie er schnell gewann und der er später einen großen Teil seiner Veröffentlichungen widmete.
Zu einem ähnlichen ethnographischen Pionierunternehmen kam es 1961. Zusammen mit Eike Haberland, dem nachmaligen Direktor des Frobenius-Instituts, verbrachte er ein halbes Jahr in der für die Kunst ihrer Bewohner berühmten, aber insgesamt noch wenig erforschten Sepik-Region im Norden Neuguineas. Eine der Aufgaben der "Expedition" war es, Artefakte für das Frankfurter Museum zu sammeln, wobei sie im Übrigen sorgfältig dokumentierten, wo, von wem und zu welchem Preis sie die einzelnen Stücke erworben hatten.

Als Experte auf dem Gebiet der materiellen Kultur war Schuster ab 1965 im Basler Völkerkundemuseum als Kurator tätig, bis ihn die dortige Universität 1970 auf einen der traditionsreichsten ethnologischen Lehrstühle berief. Unter seiner Leitung wurde Basel zum Koordinationszentrum der Neuguinea- und Südostasienforschung im deutschsprachigen Raum. Davon profitierten viele der von ihm ausgebildeten Ethnologen, die später wesentlich dazu beitrugen, das Fach durch neue Impulse zu bereichern und ihm sein heutiges Gepräge zu geben.
Er selbst aber fühlte sich weiterhin der von Frobenius begründeten und von Adolf E. Jensen fortgeführten Kulturmorphologie verbunden. Mit der kulturhistorischen Schule und der Ethnosoziologie zählte sie zu den drei miteinander konkurrierenden theoretischen Ausrichtungen, die das Fach bis in die frühen achtziger Jahre hinein dominierten. Meinhard Schuster, der am Donnerstag letzter Woche in Basel im einundneunzigsten Lebensjahr verstarb, war der letzte große Vertreter der deutschsprachigen Nachkriegsethnologie.

Seinem oft wiederholten Credo entsprechend, dass die faktenbezogene empirische Feldforschung das eigentliche "Salz der Ethnologie" sei, hinterlässt er neben seinem breitgefächerten wissenschaftlichen Werk auch ein großes Konvolut von noch unveröffentlichten ethnographischen Aufzeichnungen, mit deren Bearbeitung gerade begonnen worden ist. Ihr historischer Wert dürfte in dem Maß wachsen, in dem sich die von ihm besuchten indigenen Völker im Kampf dem an ihrer Umwelt begangenen Raubbau heute neu formieren und sich dabei zugleich auf die Suche nach den verschütteten Spuren ihrer eigenen kulturellen Vergangenheit begeben.


Autor: Karl-Heinz Kohl

Erstveröffentlichung: am 12.03.2021, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.), Feuilleton, Seite 11
Originaltitel: Er war gewissermaßen Kolumbus

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